Vertrauensschutz für Altfälle?
Problematisch sind aufgrund der Rechtsprechungsänderung im Jahr 2013 und der danach bis Anfang 2014 eingetretenen unklaren Rechtslage vor allen Dingen Fälle, in denen Subunternehmer für Bauträger gearbeitet haben und diese Bauträger jedoch nicht selbst Bauunternehmer waren, sondern nur eigene Grundstücke zum Zwecke des späteren Verkaufs bebaut haben. In diesen Fällen sollte nämlich dann der Leistungsempfänger die Steuer nicht schulden. Einige Bauträger haben sich dann auf diese Rechtsprechung berufen und die Steuer entsprechend vom Finanzamt zurück gefordert. Das Finanzamt wendet sich dann an den Leistungserbringer, um dort die Umsatzsteuer nachzufordern. Der Leistungserbringer kann nicht in allen Fällen die Steuer vom Leistungsempfänger wieder bekommen, so dass hier horrende Nachzahlungsfälle entstehen können. Denn dann können auch die Verrechnungsmöglichkeiten durch Abtretung der Umsatzsteuer in Rückabwicklungsfällen, wie sie die Übergangsregelung in § 27 Abs. 19 UStG ansonsten zulässt, nicht greifen.
Da die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ja nicht nur für das Jahr 2013 sondern generell rückwirkend für alle offenen Fälle grundsätzlich gilt, können hier in vielen Altfällen gravierende Probleme entstehen. Ein solcher Nachforderungsfall liegt jetzt dem Finanzgericht Münster vor: dort fordert das Finanzamt im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung im Jahr 2015 Umsatzsteuer für das Jahr 2011 von einem Bauleister, der entsprechende Leistungen für einen Bauträger erbracht hatte. Hierzu hat das Finanzgericht Münster in einem Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes entschieden, dass bei fehlender Anwendung der Umkehr der Steuerschuldnerschaft Vertrauensschutz für den Bauleistenden bestehen kann, da ja in den Jahren die Finanzverwaltungsauffassung ganz klar die Anwendung gefordert hat. Erst im Jahr 2013 hat der Bundesfinanzhof diese Auffassung der Finanzverwaltung verworfen und damit diese gravierenden Nachforderungsfälle ausgelöst. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, ob tatsächlich Vertrauensschutz gewährt wird. Wer unter Berufung auf die Entscheidung des Finanzgerichts Münster (Beschluss vom 12.08.2015, Az. 15 V 2153/15 U) Aussetzung der Vollziehung beantragen will (oder muss, da die Rückforderungen ansonsten existenzgefährdend sind) der muss auch an die Folgen der Aussetzungszinsen denken. Die Erfolgschancen sind ungewiss. Keinen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung (BT-Drs. 18/5603). Differenziert haben verschiedene weitere Finanzgerichte bisher entschieden (verfassungsrechtliche Bedenken: FG Berlin-Brandenburg vom 03.06.2015, Az. 5 V 5026/15; Vertrauensschutz nur bei Änderung oder Aufhebung von Steuerbescheiden, nicht bei erstmaliger Festsetzung: FG Niedersachsen vom 03.07.2015, Az. 16 V 95/15; kein vorläufiger Rechtsschutz bei Rückabwicklung von Bauträger-Fällen: FG Köln vom 01.09.2015, Az. 9 V 1376/15).
Vorgeschichte und alte Rechtslage bis 01. Oktober 2014
Wie dargestellt können Steuernachforderungsansprüche aus der unklaren Rechtslage vor dem 01.10.2014 für die betroffenen Unternehmen existenzbedrohend sein. Da die Nachforderungsfälle noch lange nicht ausgestanden sind, wird nachstehend noch einmal die Vorgeschichte und die alte Rechtslage dargestellt, damit man die eigene Situation im Streitfall mit dem Finanzamt oder Geschäftspartnern besser einschätzen kann.
Speziell für Bauunternehmen und andere so genannte "Bauleister" ist 2014 eine gravierende Änderung bei der Handhabung der Umsatzsteuer eingetreten: grundsätzlich muss bei Leistungen zwischen Bauleistern der Subunternehmer eine Nettorechnung ohne Mehrwertsteuer mit dem Vermerk "Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers gem. § 13b UStG" ausstellen und der Empfänger führt dann die Umsatzsteuer ab. In der Unternehmerkette führt dies in der Regel zu Null-Steuer-Situationen, wenn der Empfänger gleichzeitig die Vorsteuer wieder abziehen kann. 2013 galt das "immer" für Leistungen von Bauleister an Bauleister. Das heißt z.B. auch, wenn der Bauleister die Subunternehmerleistungen für seinen nichtunternehmerischen (privaten) Bereich in Anspruch nimmt oder wenn es sich um Bauleistungen für seine eigenen Büro- oder Vermietungsobjekte handelt.
Nachdem der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 22.08.2013 V R 37/10 festgestellt hatte, dass die bisherige Praxis in Deutschland nicht mit EU-Recht vereinbar ist, hat die Finanzverwaltung ihre Anforderungen Anfang 2014 entsprechend angepasst.
Änderung durch BFH-Rechtsprechung 2013
Aufgrund des Bundesfinanzhofsurteils vom 22. August 2013 (Az. V R 37/10) änderte sich die Handhabung grundlegend: der Bundesfinanzhof hat nämlich festgestellt, dass es nach der bis 2013 geltenden Rechtslage für die Entstehung der Steuerschuld darauf ankommt, ob der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Bauleistung seinerseits zur Erbringung einer eigenen Bauleistung verwendet. Dagegen komme es für die Eigenschaft als Bauleister nicht darauf an, ob ein bestimmter Mindestanteil an Bauleistungen erreicht wird (lt. Finanzverwaltung bis dahin 10%). Damit würden automatisch alle Leistungen, die für den nichtunternehmerischen Bereich erbracht werden und auch die Leistungen, die für den eigenen unternehmerischen Bedarf des Unternehmers erbracht werden aus dem Anwendungsbereich herausfallen. Auch komme es nicht darauf an, ob sich die Beteiligten über die Handhabung einig sind oder nicht.
Anwendung
Das BFH-Urteil vom 22.08.2013 V R 37/10 war grundsätzlich in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Das Bundesfinanzministerium hat seine Anwendungsregeln mit Wirkung ab dem 15. Februar 2014 angepasst und diese in einer Neufassung des Umsatzsteueranwendungserlasses zu § 13b UStG festgehalten. Da die Finanzverwaltung vorher eine andere Sichtweise vertreten hat, wurde für Altfälle eine Übergangsregelung mit Stichtag 14. Februar 2014 (Veröffentlichung des neuen BMF-Schreibens im Bundessteuerblatt) gewährt.
Nichtbeanstandungsregelung für Leistungen bis 14. Februar 2014
Haben leistender Unternehmer und Leistungsempfänger die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers für eine Bauleistung, die vor dem 15. Februar 2014 ausgeführt worden ist, einvernehmlich unter Berücksichtigung der Altregelung im UStAE angewendet, wird es nicht beanstandet, wenn sie nach dem 14. Februar 2014 ebenso einvernehmlich entscheiden, an der seinerzeitigen Entscheidung zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Bauleistungen, die bis zum 14. Februar 2014 erbracht wurden, festzuhalten, auch wenn in Anwendung des o. g. BFH-Urteils vom 22. August 2013 der leistende Unternehmer Steuerschuldner wäre. Die Notwendigkeit von Rechnungsberichtigungen besteht nicht.
Die Nichtbeanstandungsregelung wurde mit BMF-Schreiben vom 08. Mai 2014 auf Bauleistungen erweitert, mit deren Ausführung vor dem 15. Februar 2014 begonnen worden ist, soweit dies einvernehmlich unter Berücksichtigung der bis zum 14. Februar 2014 geltenden Verwaltungsanweisungen in Abschn. 13b.3 und 13b.8 UStAE erfolgt ist.
Außerdem wurden Vereinfachungen bei terminüberschreitenden Anzahlungen geregelt.
Anwendung auch für Gebäudereiniger
Die Regelung gilt generell und ist außer bei Bauleistungen auch bei Gebäudereinigern anzuwenden.
Anwendung bei Organschaft
Die Regelungen sind bei Organschaft entsprechend anzuwenden. Hier reicht es allerdings aus, wenn eine Bauleistung an einen Teil des Organkreises erbracht wird und von diesem oder einem anderen Teil des Organkreises zur Erbringung einer Ausgangsbauleistung verwendet wird. Das heißt Empfänger im Organkreis und Leistungserbringer im Organkreis müssen nicht identisch sein.
Erneute Änderung mit Wirkung ab 01. Oktober 2014
Durch das "Kroatien-Anpassungsgesetz" vom 25.07.2014 (BGBl I S. 1266) hat sich die Rechtslage ab 01.10.2014 wieder geändert. Das Gesetz enthält auch Regelungen zur Rückforderungsproblematik in "Altfällen" (§ 27 Abs. 19 UStG), die teilweise den Vertrauensschutz ausdrücklich ausschließen. Die ab 01.10.2014 geltende Rechtslage ist eingangs dargestellt. Die (Übergangs-) Regelungen zur alten Rechtslage finden Sie in den nachfolgenden BFM-Schreiben:
Autor: Dr. Dorothee Böttges-Papendorf, Steuerberaterin - 05. Oktober 2015