BÖTTGES-PAPENDORF-WEILER · Steuerberater Wirtschaftsprüfer · Partnerschaftsgesellschaft mbB

Wie liest man eine Bilanz - Bilanzkennzahlen

 

Wie liest man eine Bilanz? - Was sagen Bilanzkennzahlen aus?

von Dr. Dorothee Böttges-Papendorf, Steuerberaterin, Bornheim

"Bilanzkennzahlen“ – ein geläufiger Begriff und doch für die meisten ein Buch mit sieben Siegeln.

Dabei kann man mit etwas Hintergrundwissen und Übung erstaunliche Dinge z.B. über ein zum Kauf stehendes Unternehmen aus vorgelegten Jahresabschlüssen herauslesen, aber natürlich auch über sein eigenes Unternehmen viel Nützliches erfahren und so häufig direkt konkrete Verbesserungsmaßnahmen ergreifen. Dabei beschränkt sich die Bilanzanalyse heute nicht nur auf das Zahlenwerk, sondern umfasst auch die beigefügten – gesetzlichen oder freiwilligen – Bestandteile wie Anhang, Lagebericht, Kapitalflussrechnungen, sonstige Erläuterungen.

Ohne großen Zusatzaufwand lassen sich die Mittel der Bilanzanalyse vielfältig nutzen. Nicht umsonst werten Kreditinstitute die Bilanzen ihrer Kreditkunden aus. Profitieren also auch Sie von diesem bewährten Instrument!

Im Zeichen von E-Bilanz und elektronischer Steuererklärung kommt aber noch ein weiterer, wichtiger Grund dazu: für die Finanzämter werden Sie aufgrund der dort gesammelter Daten immer transparenter. Analysieren auch Sie daher regelmäßig Ihre Zahlen und fragen, ob Sie gut dastehen oder ob es Verbesserungspotential gibt, bevor das Finanzamt Ihnen zeigt, dass Sie "eigentlich" mehr verdienen müssten (und Steuern nachfordert).

Die wichtigsten Kennzahlen erläutern wir nachfolgend.


Qualitative Vorprüfung

Aus einer schlechten Bilanz können Sie keine verlässlichen Informationen ableiten. Bevor Sie Bilanzkennzahlen errechnen oder interpretieren, sollten Sie sich daher zunächst einen Eindruck von der Qualität und Verlässlichkeit des vorliegenden Zahlenwerks verschaffen.

Dazu werden im Rahmen einer Vorprüfung zunächst qualitative Faktoren zur Beurteilung herangezogen.

Wenn diese qualitativen Vorprüfungen nicht zur Zufriedenheit ausfallen, wird der erfahrene Bilanzanalytiker sich weniger auf das Zahlenwerk stützen, sondern weitere Unterlagen oder Auskünfte einholen, eine zusätzliche Bilanzprüfung verlangen oder im schlimmsten Fall weitere Gespräche überhaupt ablehnen.

Mancher Unternehmer mag hier schon entsprechende (Negativ-)Erfahrungen mit der Bank gemacht haben, die immer wieder neue Unterlagen und Informationen verlangt, obwohl Sie doch den letzten Jahresabschluss und auch immer mal wieder eine BWA eingereicht haben. Bevor Sie stöhnen und die Bank verteufeln bedenken Sie jedoch auch folgendes:

Vernünftige Qualität Ihres Jahresabschlusses und Rechnungswesens allgemein ist auch Voraussetzung für die interne Bilanzauswertung. Ein schlechtes Rechnungswesen unterstützt auch Sie nicht ausreichend bei Ihren Aufgaben in der Unternehmensführung. Daraus abgeleitete Planungen und Schlussfolgerungen sind im besten Fall rausgeschmissene Zeit und Geld – im schlimmsten Fall existenzbedrohend.

 

 

Schritt 1: Einschätzung der Verlässlichkeit des Zahlenwerks

„Äußere Werte“ der Bilanz

Die Bilanzanalyse beginnt mit äußeren Beurteilungskriterien:

Wie zeitnah erfolgt die Bilanzerstellung? Welche Informationen werden gegeben? Wird nur das absolute Minimum oder vielleicht noch weniger zusammengestellt oder wird auch auf andere Fakten, die für die Beurteilung des Gesamtbildes nützlich sind, eingegangen? Wird nur eine Steuerbilanz erstellt oder ist erkennbar, dass man handelsrechtliche Grundsätze beachtet? Werden Erläuterungen zu den rechtlichen, wirtschaftlichen und steuerlichen Verhältnissen gegeben?

  • Zeitnähe,
  • Transparenz und
  • sinnvolle Zusatzinformationen

erhöhen den Wert des Jahresabschlusses und werfen ein positives Licht auf die Qualität der Unternehmensführung: Das gibt positive Punkte für das analysierte Unternehmen und seine Geschäftsführung. Egal ob es um eine externe Bilanzanalyse z.B. im Rahmen eines Unternehmenskaufs oder durch einen Kredit- und Kapitalgeber geht.

„Innerer Wert“ der Bilanz

Papier ist bekanntlich geduldig. Bevor man aus den vorgelegten Unterlagen Schlüsse zieht, muss sich jeder Bilanzleser daher fragen: Wie glaubhaft sind die Informationen? Inwieweit wurden Ansätze hinterfragt und/oder geprüft?

  • Was ist zum Rechnungswesen gesagt? Wurden für Abschluss und Buchhaltung geprüfte und anerkannte Programme eingesetzt? Werden die Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden erläutert?
  • Wer hat die Bilanz aufgestellt? Wurden die Grundsätze für die Erstellung von Jahresabschlüssen gem. den Verlautbarungen der Bundessteuerberaterkammer bzw. der Wirtschaftsprüfer beachtet?
  • Was ist zum Umfang der Prüfmethoden bei Aufstellung gesagt? Hat zusätzlich eine (Pflicht-) Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer/vereidigten Buchprüfer stattgefunden?
  • Angaben zu den Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden

sowie

  • dokumentierte –gegebenenfalls freiwillige – Prüfungshandlungen

erhöhen die Verlässlichkeit der vorgelegten Zahlen und verbessern den Einblick.

Mindeststandard ist hierfür die Erstellung nach den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen durch Steuerberater/Wirtschaftsprüfer.

Schritt 2:Auswahl der gewünschten Informationen

Nur wenn die qualitative Vorprüfung positiv ausfällt, lohnt es sich überhaupt, in die weitere Analyse der Zahlen und sonstigen Angaben einzusteigen. Welche Kennzahlen und Informationen Sie für Ihre Bilanzanalyse vorrangig auswerten, hängt vor allen Dingen auch von der Fragestellung ab, weshalb die Analyse durchgeführt wird. Die wichtigsten Einsatzgebiete sind:

  • Stärken-Schwächen-Analyse als Ausgangspunkt für Verbesserungsmaßnahmen durch die Unternehmensführung.
  • Allgemeine Unternehmensanalyse im Rahmen von Bonitätsprüfungen (Rating) durch Kreditgeber.
  • Unternehmens- und Anteilsbewertung z.B. im Rahmen von Unternehmenskauf/-verkaufsverhandlungen: hier sind der externen Bilanzanalyse aber enge Grenzen gesetzt, weshalb im Zuge sog. Due-Diligence-Prüfungen insbesondere im Rahmen von Unternehmensverkäufen zusätzliche Unterlagen herangezogen werden.

Es sind also sowohl Erkenntnisse für den kaufmännisch finanzwirtschaftlichen Bereich wie auch für den produktions- und betriebstechnischen Bereich möglich. Die Frage der Unternehmensbewertung ist ein Sonderthema, auf das im Folgenden nicht weiter eingegangen wird.

Wichtig: Seit 2010 wird aufgrund der neuen handelsrechtlichen Bestimmungen gem. BilMoG (Bilanzrechts-Modernisierungsgesetz) strikt zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz unterschieden. Für die Bilanzanalyse bildet der handelsrechtliche Jahresabschluss die Grundlage.

Wichtige Bilanzkennzahlen und was man daraus ableiten kann

Eingenkapitalquote

Interpretationshinweise: Anhaltswert: Nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen sollte die Eigenkapitalquote nicht unter 30 % sinken. Bei zukunftsorientierten Unternehmen mit risikobehafteten und innovativen Plänen sollte die Eigenkapitalquote auch deutlich höher (über 50 %) liegen.

 

 

Zum Vergleich: In den letzten Jahren ist die Eigenkapitalquote in der deutschen Wirtschaft im Durchschnitt ständig gestiegen: von unter 17 % (1997) auf zuletzt 30 % (2015). D.h. die deutschen Unternehmen haben gezielt auf Finanzkrise und Rating reagiert und ihre Risikovorsorge durch Eigenkapitalbildung verbessert.

 

Verschuldungsgrad

Interpretationshinweise: Nach der goldenen Finanzierungsregel der Betriebswirtschaftslehre sollten sich Eigenkapital und Fremdkapital in etwa die Waage halten, d. h. der optimale Verschuldungskoeffizient wäre 100 %. Die Kennzahl kann jedoch nicht für sich betrachtet werden, da es bei der Verschuldung natürlich auch auf die Struktur der Aktivseite ankommt:

Fremdkapital zur Finanzierung von verwertbaren Immobilien z. B. ist sicherlich anders zu beurteilen als Fremdkapital zur Finanzierung von vielleicht schon nicht mehr vorhandenen Betriebsmitteln. Auch beim Verschuldungsgrad sieht man deutlich das zunehmende Risikobewusstsein: im Durchschnitt hat sich die Kennzahl von über 500 % (1997) auf zuletzt 235 % (2015) verbessert.

Anlagendeckung

Interpretationshinweise: Mit dieser Kennzahl wird die Finanzierung des Anlagevermögens analysiert: Nach der sog. goldenen Bilanzregel sollte das Anlagevermögen durch Eigenkapital und langfristiges Fremdkapital gedeckt sein. Dazu tritt der Grundsatz der Fristenkongruenz. Danach soll langfristig gebundenes Vermögen mit langfristigem Kapital (Ei­genkapital und langfristigem Fremdkapital) und kurzfristig gebundenes Vermögen mit kurzfristigem Kapital (z. B. Kon-tokorrentkredit oder Lieferantenkredite) finanziert werden. Hierdurch soll die ständige Liquidität des Unternehmens gesichert werden, da kurzfristig fällige Verbindlichkeiten auch nur mit kurzfristig fälligen Vermögenswerten (liquiden Mitteln) beglichen werden können.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegung sind auch die folgenden Kennzahlen zu sehen:

Kennzahlen zur Verschuldung  und Liquidität

 

Kennzahlen zur Umschlagshäufigkeit, Debitorenziel, Kreditorenziel, Lagerdauer

 

Wichtig für die Kapitalbindung im Unternehmen sind auch:

 

 

Interpretationshinweise: Je kürzer die Laufzeiten von Debitoren- und Lagerumschlag gehalten werden können, desto weniger kurzfristige Mittel werden im Betrieb gebunden. Aus dem Kreditorenziel in Tagen kann man gegebenenfalls entnehmen, ob ein Unternehmen bereits in Schwierigkeiten ist, wenn es z. B. seine Lieferantenschulden nicht mehr in bran­chenüblichen Fristen bezahlt. Gegebenenfalls können auch Finanzierungsfehler aufgedeckt werden, wenn z. B. langfristiges Anlagevermögen durch kurzfristige Lieferantenschulden finanziert wurde.

Weitere wichtige Kennzahlen

Wichtige Kennzahlen besonders im externen Betriebsvergleich sind die Kennzahlen zum Rohertrag (Warenein­satz in % vom Umsatz) oder auch die Umsatzrentabilität (Betriebsergebnis vor Steuern im Verhältnis zum Um­satz in %): Diese Kenn­zahlen eignen sich insbesondere für den externen Betriebsvergleich, da sie innerhalb einer Branche im Regelfall besonders einfach verglichen werden können.

Eine weitere wichtige Gruppe von Kennzahlen sind die Cash-flow-Kennzahlen:

Der Cash-flow gibt den Mittelzufluss im Unternehmen im Betrachtungszeitraum an. D. h. das durch Bilanzierung ermittelte Ergebnis wird um die nicht zahlungswirksamen Vorgänge bereinigt. Üblicherweise werden nur die Abschreibungen hinzugerechnet, weitere Korrekturen (z. B. um langfristige Rückstellungsbeträge) sind möglich.

Mit dem erweiterten Cash-Flow wird der Gesamtbetrag der Mittel ermittelt, der zur Bedienung des Fremdkapitals zur Verfügung steht. Korrigiert man noch um die Tilgungen und Ersatzinvestitionen sowie gegebenenfalls Aus­schüttungen, Entnahmen und Einlagen, dann erhält man die Kapitaldienstfähigkeit, d. h. den Liquiditätsüberschuss, der zur Verfügung steht, um weitere Kapitalgeber zu bedienen, z. B. im Hinblick auf geplante Erweite­rungsinvestitionen.

Diese klassischen Cash-Flow-Kennzahlen finden sich wieder, wenn man in den veröffentlichten Ergebnissen von insbesondere New Economy Unternehmen auf die Begriffe EBIT (earnings before interest and taxes) und EBIDTA (earnings before interest, depreciation, taxes and amortization) stößt, was dem erweiterten Cash Flow vor Steuern entspricht.

 

Weitere Kennzahlen zur Produktivität lassen sich aus der Anzahl der Mitarbeiter und den Personalkosten gewinnen. Nützlich und einfach zu ermitteln sind die

  • Produktivität (Umsatz, Gesamtleistung)
  •  je Beschäftigten
  •  je Euro Personalkosten und
  • die Personalkostenquote (Personalkosten im Verhältnis zum Umsatz).

Hier findet man auf Grund der hohen Verbreitung auch praktisch für alle Branchen Vergleichswerte anderer Betriebe (externer Betriebsvergleich). Interessant ist aber auch die Darstellung der Entwicklung dieser Kennzahlen für den eigenen Betrieb über mehrere Jahre (interner Betriebsvergleich).

Typische Fragestellungen und Überlegungen in diesem Zusammenhang:

  • Wenn ein zusätzlicher Mitarbeiter eingestellt wird, wie hoch müsste dann die Umsatzsteige­rung sein, um wieder den alten (Branchen-Durchschnitt zu erreichen?
  • Sind die Personalkosten im Verhältnis zum Umsatz zu hoch? Kann der Umsatz gesteigert oder müssen die Personalkosten gesenkt werden?
  •  Zahlt sich die Einstellung von höher qualifizierten und damit teureren Mitarbeitern aus, oder ist die Personalkostensteigerung in Bezug auf die Umsatzsteigerung im Branchen­durchschnitt zu hoch?
  • Ein Umsatzrückgang von x Euro bedeutet einen notwendigen Personalabbau von y Personen.
  • Wird im eigenen Betrieb die branchenübliche Produktivität erreicht oder gibt es Steigerungsmöglichkeiten?
  • Hat sich die Produktivität verbessert oder verschlechtert?

Wichtig: Bei Vergleichen mit anderen Betrieben ist jeweils zu berücksichti­gen, ob der Unternehmer mitgezählt wird und ob ein kalkulatorischer Unternehmerlohn ange­setzt wird. Insbesondere bei Vergleichen zwischen Personengesellschaften (deren Gewinn steuerlich nicht um den Unternehmerlohn korrigiert ist) und Kapitalgesellschaften (GmbH-Geschäftsführer ist sowohl in der Beschäftigtenzahl als auch in den Personalkosten enthalten) ist Vorsicht bzw. gegebenenfalls eine entsprechende Korrektur angebracht. 

Vergleichszahlen bekommen Sie z. B. über Ihren Fachverband oder Ihre Kammer, beim Statistischen Bundesamt oder alle zwei Jahre gesammelt im Fachbuch Branchenkennzahlen von Dr. Dorothee Böttges-Papendorf, Deubner Verlag Köln GmbH & Co. KG oder laufend über den DATEV-Betriebsvergleich. Die Richtsatzsammlungen der Finanzverwaltung mit Werten zu Rohertrag, Aufschlagssatz und Reingewinn, wie das Finanzamt ihn "erwartet", finden Sie unter www.bundesfinanzministerium.de.

Stand: zuletzt bearbeitet 06.06.2017